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Seinem Urteil zur Mainzer Genusssituation schlossen wir uns vorbehaltlos an, zumal uns unweit der Rheinallee ein Restaurant empfohlen wurde, dessen saisonal geprägter Frischeküche der „Guide“ ein exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis attestierte. Seit 2012 lacht hier dem einkehrenden Gourmand ein keckes Michelin-Männchen, das für „sorgfältig zubereitete und preiswerte Mahlzeiten“ steht, entgegen.
Die Rede ist vom Restaurant Geberts Weinstuben, dessen beeindruckende Historie bis ins Jahr 1887 zurückreicht. Ihr Namensgeber Johann Gebert war Bäcker und zudem mit einer Winzertochter verheiratet. Klar, dass der Backstube irgendwann eine Weinstube angegliedert wurde, was auch den Plural im Namen erklärt. Vor 45 Jahren war es Wolfgang Gebert, der Vater des heutigen Küchenchefs und Inhabers Frank, der aus der Weinstube eine Anlaufstelle für Feinschmecker und Genießer machte. Frank Gebert führt seit 2007 zusammen mit seiner Frau Dagmar das alteingesessene Lokal in der Mainzer Neustadt und setzt dabei auf deutsche Klassik mit klar erkennbarem französischem Akzent. Und dieser Küchenmix scheint richtig gut anzukommen.
Wir waren recht früh dran an jenem kalten Freitagmittag. Die Frage nach unserer Reservierung verneinten wir mit der gleichen Spontanität, die schon unserer Einkehr zugrunde lag. „Wolle mern roilosse?“ Beim Anblick der blau-gelb-roten Faschingsdekoration, welche die Fenstersimse bevölkerte, lag mir schon die Suggestivfrage aus „Mainz bleibt Mainz wie es singt und lacht“ auf der Zunge, aber die junge Dame vom Service hielt anscheinend noch ein paar Kapazitäten für Laufkundschaft bereit. Sie bot uns einen zentral gelegenen Tisch inmitten des vorfastnachtlich geschmückten „Wohnzimmers“ der Geberts an. Tanzende Harlekins und bunte Narrenkappen kündeten von der fünften Jahreszeit. An der Decke befestigte Farbbänder schwebten girlandenartig über den Dingen.
Doch auch ohne die zurückhaltend arrangierte Fassenachtsdeko hatte der Gastraum einige Hingucker in Sachen ungewöhnlicher Einrichtung zu bieten. Allein die kleinteilig gläsernen Retro-Kristallleuchter, die pompös von der Decke baumelten, sorgten für Aufsehen – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Eine mit allen erdenklichen spirituellen Wassern ausstaffierte Anrichte entstammte wohl dem vorigen Jahrhundert. Ein Querspiegel mit breitem Silberrahmen hing raumvergrößernd über einer langen Couch, die mit ihren samtbezogenen Kissen im Schnörkellook den Vintage-Gedanken aufrechterhielt.
Bei den übrigen, sehr bequem gepolsterten Sitzmöbeln regierte die Farbe Violett, die sich auch bei den Vorhängen fortsetzte. Sie passte sowohl zur güldenen Wandtapete als auch zum rustikalen Holzdielenboden ganz prima. In stilvolles Weiß gehüllte Tische, auf Hochglanz polierte Weingläser, kleine Brottellerchen, Zweifachbesteck aus Silber und hübsch gefaltete Stoffservietten zeugten von klassischer Tafelkultur ohne jeglichen Muff. Ein rundum würdiger Rahmen für ein hoffentlich ebenso genussvolles Mahl war gegeben.
Schon beim Aufklappen der Speisenkarte jauchzte ich innerlich vor Freude. Großes Format – kleine Auswahl. Genauso mag ich es am liebsten. Bei den Aperitif-Empfehlungen fiel mir sofort der „Quitten Royal“, ein mit hausgemachtem Quittenlikör aufgefüllter Riesling-Sekt, ins Auge. Nicht die 7,80 Euro für das Gläschen (0,1l), sondern die Aussicht auf einen guten Rotwein zum Essen und die bevorstehende Rückfahrt in die Pfalz verwehrten mir den Trinkspaß vorweg. Klar hätte es auch eine mit Ingwer, Kurkuma und Zimt verfeinerte Quitten-Limonade (0,1 l für 4 Euro) sein können, aber in Anbetracht der überaus verlockend klingenden Vorspeisen, wurde jene schnell überlesen. Stattdessen sollte eine Flasche Gerolsteiner (0,75l für 6,50 Euro) unserem Durst Einhalt gebieten.
In Zitronenpfeffer geräucherter Label-Rouge-Lachs mit frischem Apfelmeerrettich (12,80 Euro), hausgemachte Geflügelterrine mit Quittenchutney (10 Euro) und französische, in Geberts Kräuterbutter gefallene Weinbergschnecken (das halbe Dutzend für 9,50 Euro) ließen mich gedanklich ins benachbarte Elsass abdriften. Klare Entenessenz mit Käsegebäck (7,80 Euro) und Hamburger Krebssüppchen mit Cognac (7,50 Euro) ließen schon den Suppenkasper in mir schlürfen, ehe eine dreigängige Menüempfehlung die à-la-Carte-Träume eines gestandenen Kulinaristen mühelos unter sich begrub.
Zum Preis von 36 Euro hatte Frank Gebert ein appetitlich klingendes Dreigang-Menü zusammengestellt. Es bestand aus der schon erwähnten Geflügelterrine, geschmorten Kalbsbäckchen auf Kartoffelpüree, glaciertem Marktgemüse und sautierten Pilzen sowie einem zartbitteren Schokomousse mit Pommeranzen-Sorbet und frischen Beeren. Selbst die verführerisch klingenden Hauptspeisen, unter denen sich so reizvolle Leib- und Magengerichte wie Züricher Kalbsgeschnetzeltes oder rosa gebratener Rehrücken an Wacholderrahmsauce tummelten, ließen uns nicht von dem Menügedanken abrücken. Zweimal drei Gänge wurden in Auftrag gegeben.
Beim Blick in die großzügige Flaschenweinkarte wurde die frühere Bestimmung dieses Anwesens mehr als deutlich in Erinnerung gebracht. Nach Rebsorten bzw. Weinbauregionen sortiert, waren es vor allem die viele Großen Gewächse aus der Riesling-Traube, die für Aufsehen sorgten. Rheinhessen, Rheingau, Mosel, Nahe, Saar und auch die Pfalz bestimmten das mit Bedacht zusammengestellte Angebot. Namhafte Pfälzer Winzer wie der Laumersheimer Philipp Kuhn oder Friedrich Becker aus Schweigen durften da nicht fehlen. Aber auch ein paar rote Trouvaillen aus dem Burgund und dem Rhônetal waren vertreten.
Mehr wie ein Viertel sollte es an diesem Tag allerdings nicht werden. Die Entscheidung fiel auf die saftig-fruchtige Rotweincuvée „Villa Bürklin“ vom Weingut Dr. Bürklin-Wolf aus Wachenheim an der Weinstraße. Das aus den Rebsorten Spätburgunder, Dornfelder und Sangiovese (!) verschnittene Trinkvergnügen zeichnete sich durch eine zugängliche Struktur und einen kraftvollen Körper aus. Die 8,50 Euro für den leckeren Roten aus der heimischen Pfalz waren definitiv gut angelegt.
Langsam füllte sich der Gastraum. Geschäftsleute, eine Gruppe von Pensionären, die anscheinend etwas zu feiern hatten und juvenile Mittvierziger bevölkerten die gute Stube der Geberts. Doch bevor das andächtige Schweigen der Schlemmer so richtig einsetzte, grüßte die Küche mit frischem Baguette und Gänseschmalz. Mit etwas Salz und Pfeffer verfeinert ein durchaus wohlschmeckender Appetitanreger, der als kulinarische Vorhut getarnt dem ersten Hunger trotzig die fettige Stirn bot.
Den ersten Gang hätte ich so auch in einem gehobenen Elsässer Landgasthof erwartet. Zwei veritable Scheiben von der hausgemachten Geflügelterrine wurden von einem schön sauer angemachten Salatbouquet und einem à part im Schälchen gereichten Quittenchutney kongenial begleitet. Die würzige Terrine, die von einem weißen Speckrand umgeben war, hatte zwischen der pürierten Grundmasse viele Fleischstücke zu bieten. Zu den obligatorischen Pistazien gesellten sich noch eingeweichte Rosinen und rosa Pfefferkörner. Säure und Frische kam vom herzhaften Salattürmchen. Für ausgleichende Süße sorgte das geleeartige Quittenchutney. Besser hätte man die deftige Geflügelpaté nicht einrahmen können. Einziger kleiner Schwachpunkt war die Portionsgröße. Als Vorspeise eines dreigängigen Menüs hätte sie meiner Meinung nach etwas schmaler ausfallen dürfen. Ansonsten war das vom Geschmack ein sehr überzeugender Auftakt.
Maître Geberts unverkennbarer Hang zu ambitionierter Hausmutterküche im Sonntagskleid kam spätestens bei den geschmorten Kalbsbäckchen voll zum Tragen. „So und nicht anders müssen die gemacht werden!“ hätte der Bäckchen-Fachmann unseres Wörther Schlemmerclubs über die herrlich mürben Fleischhügel geurteilt. Langfaserig und kollagenhaltig präsentierte sich das saftige Schmorfleisch, das auf einem fein abgeschmeckten, dicken Klacks Kartoffelpüree thronte und von knackigem Wurzelgemüse begleitet wurde. Höhepunkt dieser Gaumenorgie war jedoch der dunkle Beiguss zu den beiden prächtigen Schmorbacken. Die beeindruckend tiefgründige Jus verriet den Aufwand und das Können, das in Frank Geberts Zubereitungen steckt. Und das ganz ohne kraftmeierische Attitüde, sondern mit sicherer Hand beim Ansetzen und Abschmecken. Süßlich-herbe Röstaromen ließen auf eine erfolgreiche Maillard-Reaktion schließen, die ein kräftiger Rotwein beim Ablöschvorgang zur richtigen Zeit unterband. So einen ehrlich gekochten, aromatisch-dichten Soßenfond hätte selbst der legendäre Haynaer Saucengott Karl-Emil Kuntz nicht besser hinbekommen. Großes Kompliment, das wir auch gegenüber der jungen Servicekraft äußerten und das bis in Frank Geberts Küche drang.
Dieser ließ sich nicht lumpen und schickte eine Extraladung des betörend leckeren Elixiers an unseren Tisch. Bis auf den letzten Tropfen leerten wir die silberne Sauciere und hätte es die gute Erziehung nicht verboten, ich hätte sie sogar vor Ort noch ausgeschleckt.
Auch hier war das einzige kleine Manko die Größe der Portion. Ein Bäckchen hätte locker gereicht, zumal auch das Pürée kein Kind von Spärlichkeit war. Sei es drum. Wir schafften den Hauptgang gerade so und wollten schon den Dessertverzicht signalisieren, da beschlich uns dann doch die Lust auf einen süßen Abschluss.
Der wurde uns nach angenehmer Wartezeit in Form zweier fluffiger Nocken Schokomousse, ein paar aufrechten Waldbeeren sowie einer Kugel vom säuerlich-frischen Pommeranzen-Sorbet serviert. Auf dem mit Schoko-Nuss-Lackierung versehenen, länglichen Porzellan steuerten rote Fruchttupfer und gelbe Mangowürfel weitere Farb- und Geschmacksakzente bei. Irgendwie passte der Teller farblich zur Fastnachtsdeko, so mein erster Eindruck. Damit es zwischen den Zähnen auch ein wenig kracht, fungierte eine Mandelhippe als Knuspersegel zwischen den beiden weichen Schokokissen. Dieser süß-herben Versuchung konnte selbst das fortgeschrittene Stadium der Sättigung wenig anhaben. Nur die durch den Pacojet gejagte Pommeranzenkugel war mir schlichtweg zu sauer.
Pappsatt und hochzufrieden machten wir uns wieder auf den Heimweg in Richtung Pfalz. Die nicht minder enthusiastische Rezension von GG-Kollege Nolux aus dem Jahr 2014 habe ich erst nach meinem Besuch bei den Geberts gelesen. Seine Empfehlung teile ich zu 100 Prozent. Essen, Service, Ambiente und PLV passen hier einfach. Seiner Schreibe nach zu urteilen dürfte der werte Herr Nolux immer noch von seiner Perlhuhnbrust mit Mandelbällchen träumen. Die würde ich dort auch nicht ausschlagen.