Wir verwenden Cookies
Wenn Sie unsere Webseiten besuchen, kann Ihre Systemsoftware Informationen in Form von Cookies oder anderen Technologien von uns und unseren Partnern abrufen oder speichern, um z.B. die gewünschte Funktion der Website zu gewährleisten.
Eigentlich wollte ich an diesem Abend ins Kuno1483, dem anderen mit einem Michelin ausgezeichneten Restaurant der Barockstadt. Eine geschlossene Gesellschaft ließ einen Spontanbesuch nicht zu und so brachte mich ein Taxi die wenigen Minuten in den bei Frankenwein-Enthusiasten weltberühmten Würzburger Stein hinauf. Dort residiert im Weingut am Stein von Ludwig Knoll auch das Gourmetrestaurant, dessen Öffnung ich mir vorsichtshalber telefonisch hatte bestätigen lassen. Der Fahrer komplementierte mich aber zunächst bei der spektakulär über den Abhang platzierten Probierstube des Weinguts heraus, einen schon fast puristischen Quader aus Glas und Holz
Sicherlich ein ganz bewusstes Statement zur Modernisierung des vielleicht immer noch als etwas betulich wahrgenommenen fränkischen Weins.
Ich platzte in eine Weinprobe und wurde freundlich, aber resolut über den Platz ins von außen deutlich historischere Gasthaus verwiesen. Dort stand ich zunächst in einem Flur und konnte den Überschriften der Türen nach zwischen Weinstube und Restaurant wählen. Ich vermutete nach dem Telefonat letzteres und stand im Dunkeln. Man hätte vielleicht mal nach dem angemeldeten Gast schauen können, zumindest wenn ein Taxi vorfährt...
Beim zweiten Versuch hatte ich mehr Glück und eine der beiden Damen im Service bestätigte mir, dass heute nur in der Weinstube gedeckt sei, zu wenige Reservierungen. Ah ja - oh je. Ich sah mich schon vor sauren Zipfeln sitzen (was wahrlich nichts Schlechtes ist, nur an diesem Tage nicht gewünscht), da schob sie nach, dass aber die Restaurant-Karte gekocht werde. Fränkisch-direkt ließ sie mir die Platzwahl und so konnte ich an einem der wuchtigen, Bauhaus-Massivholztische ins neblige Würzburg hinunter schauen. Das Gestühl ebenfalls mit klarer Linie, aber angenehm gepolstert. Das Ambiente ist insgesamt sachlich, aber nicht kühl. Dafür sorgen warmes Holz und helle Farben, der goldfarbene Linoleum-Fußboden fällt auf.
Eine Gruppe chinesischer und deutscher Geschäftsleute verabschiedete sich gerade und so war ich im Gastraum überwiegend mit einem Dreigestirn aus der Technischen Hochschule allein, die den runden Geburtstag der Gastgeberin mit einigermaßen ermüdendem Durchhecheln der bayerischen Wissenschafts-Landschaft begingen. Die hier zwangsweise schnöde auf den Fußboden gestellte Kelly-Bag in fuchsia war dagegen ein Schmuckstück und passte perfekt zum Chanel-Kostüm!
Später kamen noch zwei Herren, aber überwiegend war es doch zu einsam, was etwas auf die Stimmung drückte.
Die beiden Damen im Service konnten da nicht wirklich helfen. Zwar leisteten sie sich keine schweren Patzer und erledigten alles weitgehend ordentlich, aber ich hatte doch den Eindruck, dass sie lieber hinter der Theke blieben, als etwas small-talk mit dem Einzelgast zu machen. Keine Nachfrage unter den Gängen, das Teelicht auf dem Tisch blieb unangezündet, das Wasserglas zu oft leer und auch Blickkontakt wurde nicht gesucht. Begeisterung sieht anders aus. Aber vielleicht hatten wir alle nicht unseren besten Tag. Ganz anders agierte dagegen der junge Gardemanger (und gleichzeitig Patissier), der mit viel Begeisterung und Interesse seine Teller selbst an den Tisch brachte. Mal als Gesamtleistung bewertet leicht überdurchschnittlich.
Weißer Port war nicht im Angebot, Vermouth nur vom italienischen Großanbieter. So brachte mich der Campari (ok - auch keine Mikro-Destillerie) mit frischgepresstem O-Saft (6,5€) als Selbstbausatz
auf die Idee, es statt einer à la Carte-Wahl mit dem „Freistil“ zu versuchen: Die eingesetzten Lebensmittel wurden verraten, deren Kombination und Zubereitung aber noch nicht. Nach Abschluss des Mahls gab es dann eine Karte mit dem kompletten Menü. So ein kleines Ratespiel kann ganz spannend sein und tatsächlich hatte ich einige Pairings nicht erwartet. Noch schöner wäre allerdings die Präsentation der Produkte selbst im unverarbeiteten Zustand - das macht wirklich Appetit!
Für 5 Überraschungsgänge wurden 110€ Euro berechnet, im nationalen Vergleich der 1-Sterner eher selbstbewusst, allerdings stand der Käse nicht auf die Rechnung. Wer übrigens am Montag kommt, kann ein preisreduziertes Menü wählen, das von den Azubis des Hauses gekocht wird. Tolle Nachwuchsarbeit, Herr Reiser!
Für die - natürlich - vorwiegend fränkische Weinbegleitung fielen 55€ an. Das fand ich wiederum recht fair, da auch nachgeschenkt wurde.
Ins Glas kamen
vom Haus-Weingut ein Hoch3 2010er Riesling, der erste Jahrgang aus dem rekultivierten Weinberg im Stettener Stein,
gefolgt vom AB OVO (aus dem Beton-Ei) 2011er Eschendorfer Lump Silvaner trocken von Rainer Sauer,
als nächstes eine israelische (!) 2012er Cuvée von Roussanne und Marsanne aus Galiläa (Welcher Weißwein-Enthusiast muss da nicht an den Hermitage denken...),
nach drei Roten zur Probe ein eigener Spätburgunder aus der ebenfalls hochgelobten Würzburger Lage Innere Leiste
und schließlich noch eine 2011er Rieslaner Beerenauslese wieder vom Stettener Stein.
Frankenwein satt!
Aber zurück zur festen Speise: Schon der Auftakt war erfreulich. Mit anständigem Brot wurde nicht nur eine Rotweinschalotten-Butter serviert, sondern auch eine Crème auf der Basis von Brillat-Savarin,Quittenhonig und Kräutern.
Etwas Süßes zum Auftakt, sieh an!
Als erste Grüße schickte die Küche frischen, knackigen Rotkohl mit Zwergorange als herb-fruchtiger Ergänzung, dazu ein schönes Haselnuss-Knäckebrot, das mit Lebkuchengewürz sehr gut in die Jahreszeit passte.
Zu kritisieren wäre höchstens, dass das rohe Kraut lange gekaut werden musste, da hatten sich die anderen Aromen schon lange verabschiedet. Separat kam ein saftig gebratenes Stück Gänsefleisch mit einem schmalzigen Topping, Preiselbeergel und etwas Thymian.
Zusammen war die Idee: Martinsgans en miniature!
Etwas leichter der Kartoffelchip als Grundlage für Saiblingstatar und -Kaviar mit etwas Wasabi-Mayonnaise.
Erst etwas salzig, entpuppte sich der Happen durch den asiatischen Meerrettich dann nach und nach als angenehm pikant.
Das Menü startete ungewohnt gleich mit einem warmen Gericht.
Die große Tranche Perlhuhnbrust war für mich etwas zu weit gegart und an der Grenze, ihre Saftigkeit zu verlieren. Dafür glänzte eine kalte Terrine mit einer frischen „grünen“ Kräutergelee-Schicht. Blumenkohl brachte Röstaromen und einen Hauch Kaffeepulver mit und als Mousseline sorgte er im Verbund mit einer sämigen Kartoffel-Vinaigrette für Süffigkeit. Famos der gehobelte Alba-Trüffel und wirklich mutig, mit Maracuja fruchtsaure Geschmacksspitzen zu setzen. Auch an Knabberliebhaber wie mich war mit wunderbar gebackener Haut und gepufften Würfelchen gedacht. Das war kein leiser Auftakt, sondern mitten rein in eine Wohlfühlküche, bei der trotzdem Neues entdeckt werden konnte.
Die ordentliche Portionsgröße wurde auf Nachfrage damit begründet, dass man „Vorurteilen gegen die Sterneküche“ zuvor zu kommen wolle.
Der folgende Teller geriet optisch deutlich konzentrierter.
Ein gut bemessenes Stück Steinbutt war saftig, geschmacklich eindeutig und konnte mit einer tollen Bräunung überzeugen. Sehr gut auch die nicht nur optisch gut erkennbare Estragonhaube auf dem Fisch. Das Frühlingskraut hätte ich nicht erwartet, doch die Einbindung des polarisierenden Geschmacks gelang sehr gut mit exakt verarbeitete Belugalinsen in Texturen. Ein Highlight der am Tisch angegossene Quitten-Apfel-Tee, der nicht nur für etwas herbe Säure sorgte, sondern mit „Glühweingewürzen“ das Gericht wieder in der Jahreszeit verortete.
Absolut gelungen.
Was erst recht für den nächsten Gang, ein kleines surf‘n‘turf, galt:
Die intensive Krustentiersoße mit Safran unterstützte sehr gut einen wunderbar fleischig-zarten Carabinero, überdeckte ihn aber nicht. Große Miesmuscheln changierten zwischen sehr gut und unfassbar lecker. Auf der Landseite punktete der Raviolo mit seiner Füllung aus kräftig mit Majoran abgeschmecktem, geschmortem Kaninchenfleisch. Dazu zarte Spitzpaprika, die als pikante Crème für etwas Tellergeometrie sorgte. In dieser Präsentation und den Komponenten Kaninchen und Paprika fatal an einen Teller im Parkhotel Bremen erinnernd, aber Lichtjahre davon entfernt. Einzige kleine Kritik: Der Nudelteig war etwas zu dick gearbeitet. Dadurch an der „Naht“ nicht durch und noch mehlig. Trotzdem großes Kino.
Hauptdarsteller im Fleischgang war zartes, saftiges Hirschfilet in Strudelteig,
dazwischen Grünkohl, der außerdem recht knackig sautiert so gar nichts mit der traditionellen norddeutsch verkochten Masse gemein hatte. Überhaupt freue ich mich über die Karriere dieser winterlichen Vitamin-C-Bombe seit wenigen Jahren in der Hochküche. Nur etwas kleiner gezupft hätte ich der Blätter gern gehabt. Die leicht süße Maronencrème passte sowohl toll zur kräftigen Säure des Moosbeeren-Gels wie auch zur Starkbiersauce. Ein Wildgericht feinster Güte fast ohne Tadel. Fast, denn die gebackenen halben Maronen sollten „Knack“ bringen, waren aber nur hart geworden. Das war aber leicht zu verschmerzen.
Die eingeschobene Käseauswahl bestand aus Comté, Langres (Rotschimmel), Pont l‘Eveque und (zu) jungem St. Maure.
Sehr beachtlich, ebenso wie die vielfältige Begleitung durch pikante Senffrüchte, Ahornsirup, Preiselbeerchutney und kandierten Walnüssen.
So ein Potpourri bekommt man lange nicht in allen Sterne-Restaurants. Großes Lob!
Da ich ja das komplette Freistil-Menue gewählt hatte, durfte ich mich an einem sehr schönen Dessert erfreuen.
Herrlich lockeres Kaiserschmarrn-Soufflé, dazu kaltes Blutorangensorbet „im Dialog“ mit frisch gegrillter Ananas (sowieso die einzig überzeugende Art, die süße Hawaiianerin im Zaum zu halten). Schon mit Zitronengrasschaum ging es etwas in die asiatische Richtung, aber die Ingwer-Koriander-Sauce nahm richtig Fahrt auf und präsentierte im Abgang eine deutliche Schärfe. Unerwartet mutig, aber genau richtig zum Abschluss. Der junge Patissier versteht sein Handwerk!
Wie er zum Abschluss mit einem kleinen Bratapfel-Ofenschlupfer zeigte. Aber auch die eigene, geeiste Variante vom Raffaello und ein hübsch süß-saures Grapefruit-Buttermilch-Marzipan überzeugten.
Der Abschied durch den Service war ähnlich wie die Begrüßung. Man war offensichtlich froh, dass sich der letzte (schwierige) Gast endlich von dannen machte.
Im REISERS weiß man genau, was man will. Eher Bürger- als Hochküche, aber auf sehr hohem Niveau und immer mit einem schönen, kreativen Twist. Wahrlich eine sonnige Wohlfühlküche, der der Nebel über Würzburg so gar nichts anhaben konnte.