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Ja, so ungefähr kitschig darf man sich die L‘antica Trattoria vorstellen. Außer, dass die Tische unverdeckte, schöne Holzplatten haben.
Ich hatte bewusst meine Anreise zu einer Klausurtagung im Thüringer Wald schon in Gotha unterbrochen, um mir eine weitere Residenzstadt der vielen ehemaligen Kleinst-Fürstentümer anzuschauen. Vom Schloss in der „Oberstadt“ ging es an den hübschen Kaskaden hinunter in das wunderbar restaurierte Zentrum.
An diesem schönen Sommerabend erwartete Inhaber Antonio Tiripicchio sicher noch einige Paare oder gar Gruppen, so dass er für mich nur ungern einen Tisch vor dem Restaurant opfern wollte.
Schicksal, wenn man nicht reserviert. Nun, mein Platz direkt am weit geöffneten Fenster war überhaupt nicht stickig und um nichts in der Welt hätte ich diese beeindruckende Innenausstattung verpassen wollen!
Mein Wunsch, außerhalb der Karte mit etwas Aufschnitt und Käse zu starten, war überhaupt kein Problem. Es gab Coppa, dazu Bel Paese, Pecorino und Parmiggiano.
Der Patron kredenzte Olivenöl, natürlich von familieneigenen Bäumen. Auch so ein Klischee, aber ein durchaus wohlschmeckendes. Der mäßig gereifte Balsamico und das mit Kastanienmehl gebackene Brot (Cucina povera!) waren okay. Für eine Trattoria ein sehr angenehmer Auftakt. Nachdem mir die offenen Roten nicht recht behagten, machte Signor Tiripicchio ohne große Umstände eine Flasche Primitivo IGP auf, ein guter, weicher Begleiter zum Auftakt.
Als Antipasto hatte ich inzwischen von einer der vielen kleinen Tafeln das Hirschcarpaccio mit Pilzen gewählt.
Ich gehe mal von Großhandelsware aus, was aber nicht schlimm war. Das tiefrote, reichlich bemessene Fleisch war dicker geschnitten und schmeckte kräftiger als Rind. Eingelegte Steinpilze hatten ein gutes Aroma. Mit den Parmesanhobeln war das einfach eine leckere Vorspeise. Cherry-Tomaten schmecken im Sommer immerhin, haben aber auf einem Carpaccio kulinarisch nichts verloren. Den vorgesehenen Ruccola hatte ich natürlich schon abbestellt…
Inzwischen war der Chef auf der Suche nach einem gereiften Weißwein für mich fündig geworden.
Der unfiltrierte Pecorino aus den Marken machte mir den weiteren Abend viel Freude mit Fruchtigkeit, sanften Gerbstoffen und deutlicher Kräuternote. Auch ohne Bitte sogleich eingeschenkt in ein größeres Glas, das viel Luft an den lange verschlossenen Wein ließ.
Der Mann versteht sein Handwerk.
Konnte also mit dem Primo weitergehen, auf Empfehlung des Chefs kamen Spaghetti mit Oliven, Paprika, Tomaten und Peperoncini.
Eine „Spezialität“ aus der Heimat des Chefs; klang für mich wie Pasta squintana. Einen entsprechenden Begriff habe ich im Netz nicht gefunden. Vielleicht hilft die Schwarmintelligenz?
Mit selbst gemachtem Chili-Öl, Parmesan und dem hier verzeihlichem Ruccola war das natürlich Soulfood.
Nur leider war die Pasta zu weit gegart worden. Als der Chef meine leichte Enttäuschung mitbekam („Porca miseria! Was macht der Kerl im Keller da?“), gab es eine Schimpfkanonade die Treppe hinunter in die Küche.
Beim Hauptgang war wieder alles, wie es sein sollte: Calamari-Tuben sehr zart mit Oliven, Erbsen sowie frischen und halbgetrockneten Tomaten.
Kräftig gewürzt, einfach, gut gemacht und saulecker. Nicht mehr und ganz bestimmt nicht weniger. Ich war nur glücklich und die 95 Euro inkl. der Getränke nicht billig aber auf jeden Fall preiswert.
Die L’antica Trattoria hat mich auf der ganzen Linie überzeugt. Man muss halt nur etwas Lust auf ein rundum buntes und lautes Erlebnis haben.
Wobei mein Heimweg das absolute Gegenteil war: Um 21.00 Uhr an einem sommerlichen Donnerstagabend war ganz Gotha eine fast menschenleere Museumskulisse.
Ganz Gotha?
Noch war der Abend nicht vorüber…