"Große Genüsse in einem kleinen Bahnhof"
Geschrieben am 14.06.2015 2015-06-14 | Aktualisiert am 14.06.2015
"Ein Platz ebenso für Lunch als auch eine Rast geeignet"
Geschrieben am 07.06.2015 2015-06-07 | Aktualisiert am 07.06.2015
"Gutes Essen unter der Brücke"
Geschrieben am 07.06.2015 2015-06-07 | Aktualisiert am 07.06.2015
Umso idealer, das mein befreundeter Weinhändler Thomas D. (aufmerksamen Lesern meiner Pamphlete schon durch mehrere, freundlich-herablassende Würdigungen bekannt) und ich schon seit längerem ein gemeinsames Essen planten, er den Bahnhof vorschlug und ich sofort und gerne vorfreudig zustimmte.
Der Bahnhof ist noch heute regulärer Haltepunkt des „Mügsteners“, einer regionalen Bahnlinie von Wuppertal-Barmen über Remscheid zum Solinger Hauptbahnhof, eine gewisse touristische Bedeutung hat die Strecke durch die berühmte Müngstener Brücke, die es auf dem Weg zu passieren gilt.
An den östlichen Ausläufern der Brücke, im verwunschenen letzten Winkel von Schaberg, liegt der gleichnamige Bahnhof, für nicht extrem ortskundige empfiehlt sich dringend navigatorischer Beistand, im Bestfall elektronischer und keine misslaunige Ehefrau mit Falk-Plan aus den 60ern.
Thomas, der gewiefte Stratege, hatte ein Meisterstück innerehelicher Verhandlungsführung vollbracht und seine liebe Frau chauffierte uns, an der Rückfahrt sollte das Solinger Taxiwesen partizipieren.
So kamen wir gestern Abend beide bester Laune bei – noch –gutem Wetter gegen 18:30 am Restaurant an, für mich ein Moment voller Nostalgie, war ich doch sicher 20 Jahre nicht mehr hier unten.
Ein Platz, wie er typischer für die Gegend nicht sein könnte, kaum biegt man von der Hauptstraße ab und fährt ein paar verwunschene enge Sträßchen entlang, entdeckt man oft Dinge, die sich mühelos in der ARD Serie „Geheimnisvolle Orte“ verwursten ließen.
Die Atmosphäre ist zwar wunderschön, für kleine Kinder vielleicht etwas gespenstisch, vor allem da momentan - durch die Sperrung der Brücke - keine Züge fahren und das Haus erhaben die stille, leicht morbide Szenerie beherrscht.
Der Haltepunkt existiert zwar schon seit Vollendung der Brücke in 1897, das Bahnhofsgebäude wurde allerdings 1906 von einem Tornado (da sag mal einer das Bergische sei sicher!) zerstört, der mich an das „Bates Motel“ erinnernde Bau in heutiger Form steht erst seit 1908.
Gastronomisch stürmisch ging es hier bis 2008 nie zu, das änderte sich mit der Übernahme des Lokales durch das Ehepaar Wirsel jedoch schlagartig. Obwohl keinerlei Gastronomie –Erfahrung besitzend, stürzten sich die beiden passionierten Genießer im zarten Pensionärsalter in das kulinarische Abenteuer – mit Erfolg, wie sich auch heute zeigte…
Neugierig nahmen wir die am Eingang stehenden Tafeln mit der aktuellen Karte (diese wechselt im Zwei-Wochen-Takt) in Augenschein und waren hocherfreut, das las sich alles hervorragend und von kundiger, geschmackvoller Hand ausgesucht.
Die Außentüre geöffnet steht man zunächst in einem winzigen Windfang, dem man mit einigen rustikalen Landschaften in Öl eine gewisse Behaglichkeit verschrieb.
Tritt man in den Gastraum, so werden sich spätestens hier die ersten Geister scheiden, denn man wähnt sich in die 50er Jahre zurückversetzt, vieles wurde bei der Renovierung in 2008 eher zeitgenössisch ausgestaltet.
Ein großer schöner Spiegel, ein wunderbar passendes Klavier, der abgenutzte Holzboden, schöne dunkle Tische, überall erleuchtete Kerzen, die kleine Bose Anlage spielte einen alten Song von Peter Gabriel, in einem Wort: Pure, gemütliche Nostalgie. Ich habe es auf Anhieb in mein Herz geschlossen und wurde innerlich eins mit dem Bühnenbild.
Eher statusorientierte Freunde gehobener Gastronomie werden in diesem Ambiente sicher nicht glücklich, ich kann mir die ein oder andere pikierte Zahnarztgattin sehr gut naserümpfend im Eingang vorstellen, aber das ist auch dankenswerter Weise nicht die Zielgruppe, die dem Ehepaar Wirsel vorschwebt (nicht s gegen die Zahnarztgattin an sich aber Klischees wollen bedient werden).
Der Gastraum war bis auf zwei ältere Damen leer, die Begrüßung durch Herrn Wirsel geschah in seiner putzigen, liebenswerten Art auf denkbar freundliche Weise und wir wählten das Kopfende des Tisches links vom Eingang, guter Überblick und viel Platz inklusive.
Die Karten wurden gereicht, kleine Klemmbretter aus Metall mit handgeschriebenen Seiten, die zusätzlich zu den Offerten der auch innen vorhandenen Schiefertafeln, auch die kompletten À la carte Optionen, inklusive der himmlisch klingenden Desserts verrieten.
Bei Vorspeisen bzw. Suppen ab 6 Euro und Hauptgerichten ab 13 Euro kann man sicher von günstigen Preisen sprechen, erst Recht aber, wenn man Qualität von Ware und Küche erlebt hat.
Das Angebot eines kleinen, viergängigen Menüs zu ebenfalls sehr überschaubaren 25,90 Euro, das Dessert dabei sogar komplett à la carte zu wählen, hatte sofort unsere volle Aufmerksamkeit.
Wir machten es nach ein wenig interessiertem Studium der Karte dann auch kurz, zwei Menüs in unterschiedlicher Wahlfolge und eine erste Flasche Wasser, Haaner Felsenquelle 0,7l zu 7 Euro, wurden geordert.
Die Bekanntschaft mit einem Weinhändler zeigte sich dann von einer sehr erfreulichen Seite, wir hatten vorab besprochen gegen Korkgeld eigenes „Material“ zu verwenden.
Da Thomas meine Kritiken gerne liest und auch meine manische Knipswut nicht unverborgen blieb, war der visionäre Wein-Tycoon sich nicht zu schade, die Pulle vorher akribisch zu verpacken - er war sich auch nicht zu schade diesen Umstand auf sein armes Töchterchen zu schieben - und mit denkbar augenfälliger Werbung zu versehen.
Unter der erpresserischen Androhung, nichts von dem Wein zu bekommen, sowie einer möglichen „drastischen Verteuerung“ meiner Lieblingsweine wurde ich gezwungen die Flasche verpackt abzulichten und das Bild hochzuladen, ein unwürdiger Start wie ich befand. :-))
Den Wein kann ich natürlich nicht rezensieren, da er aber hervorragend war möchte ich ihn gerne nennen, es war ein 2010er Shiraz Pirathon, Kalleske, Barossa Valley, Australien. Die Wucht, die dieser Ausnahmewein mit seinen 18 Monaten Barrique mitbrachte, war eine große Freude zu einem aromenreichen Essen.
| Amuse |
Wir plauderte, der Wein konnte atmen, das Wasser stand im Kühler auf dem Tisch, höchste Zeit für einen kleinen Gruß aus der Küche, da nahte auch schon Herr Wirsel, eine herrliche Rosmarin Wolke vor sich her schiebend.
Frisches, warmes, duftendes Focaccia stand vor uns, grobes Meersalz schimmerte verführerisch, der Duft eine einzige Wonne von Rosmarin. Der Geschmack stand dem in nichts nach, einfach nur köstlich, die perfekte Konsistenz tat ihr Übriges.
Dazu gab es (nein, ich nenne es ausdrücklich nicht Kräuterquark) eine gut abgeschmeckte Kräuter-Knoblauch-Creme, die ich in dieser Form sehr gerne gegessen habe. Mit dem Zeug, das ich gerne für meine Running-Gag-Ablehnung ins Visier nehme, hatte das nichts zu tun, da waren Welten zwischen, auch wenn es Bilder nur bedingt transportieren können.
Der Wein zu diesem kleinen Auftakt schon sehr erfreulich, er entwickelte sich aber noch zum Besseren.
| Vorspeisen |
Gambapfännchen
Mein Pfännchen hatte nur ein einziges – optisches - Problem: Das Pfännchen selbst. Die dem Menü angepasste Portion dieses köstlichen Gerichtes wurde nämlich in einer der Menge etwas unangemessenen Servierpfanne kredenzt, das sah doch sehr mickrig aus. Hier hätte sich eine kleine Cazuela sicher besser angeboten, vielleicht wollte man auch das Tapas-Klischee bewusst vermeiden.
Tatsächlich gingen die Aromen auch eher in Richtung Südfrankreich, intensiver Knoblauch, extrem aromatische Oliven und Kirschtomaten, einige Mitglieder der Kräuter der Provence und ein gutes, aber nicht zu vordergründig werdendes Olivenöl. Die Gambas waren auf den Punkt gegart, auch sie überzeugten mit einem guten Eigengeschmack.
Eine erneut frisch servierte Portion Focaccia kam da gerade recht, dieses Brot mit ein wenig angedrückter Tomate und etwas von dem Sud genossen war ein absoluter Hochgenuss, auch wenn das Foto das vielleicht nicht ganz zu transportieren vermag.
kleiner Vorspeisenteller
Die Wahl meiner Begleitung, eine sehr schöne Zusammenstellung wie ich fand: u.a. Serrano, eine gute Salami, leichte Aioli, Datteln im Speck, eine Art Caprese und marinierte Scampi.
Ich habe alles probiert und würde diesen schnörkellosen und dennoch vielfältigen Teller mit seinen durchweg hochwertigen Komponenten bei einem nächsten Besuch jederzeit selber bestellen.
So kann es weiter gehen. ¡Salud!
| Zwischengang |
Kleiner Salat mit knusprigem Serrano
Und so sollte es weitergehen. Nach angenehmer Wartezeit und großer erster Zufriedenheit servierte Herr Wirsel den äußerst gut klingenden Zwischengang.
Taufrischer Eichblattsalat, dazu ein einfaches klares Dressing aus Weinessig und herrlichem, dezentem Olivenöl, ein halbiertes Wachtelei, kleine Strauchtomaten und leicht ausgebackener Serrano.
Ich hätte das Dreifache davon essen können, man entschuldige die inhaltslose, leutselige Formulierung, aber es war „zum Reinsetzen“.
Die Qualität der Zutaten war herausragend, das Gemüse war über alle Zweifel erhaben, ebenso der Jamón, das Wachtelei eine nette kleine Überraschung die das Gericht auch geschmacklich bereicherte.
| Hauptgerichte |
Gebratenes Iberico Filet in Dijon-Senfsauce mit Babyspinat, frischen Pfifferlingen und Kartoffelgratin
Gebratenes Rotbarben-Filet mit Lorbeer-Tomatenbutter, Babyspinat und Röstkartoffeln
Wiederum nach angemessener Zeit (hier sollte man Zeit und Muße mitbringen, wer rapide Massenabfertigung erwartet ist hier falsch!) kamen zeitgleich unsere Hauptgerichte.
Ich hatte die Fleisch-Variante und schnüffelte zur Belustigung meiner eher vinophil veranlagten Begleitung begeistert an der aus dem Bratensatz gezogenen Dijon-Senfsauce.
Eine Sauce, die es schaffte, alleine durch ihren Duft Speichelproduktion in großem Stil in Gang zu setzen, konnte nicht wirklich schlecht schmecken, und so war es auch, eine routiniert gekochte Herrlichkeit.
Die drei kleinen Medaillons waren rosa gebraten bei gleichzeitig wunderschöner äußerer Röstung und hatten das leicht nussige Aroma, das man an Iberico gemeinhin so schätzt.
Der Babyspinat absolut auf den Punkt, dezent gewürzt ohne Knoblauch, nur etwas Pfeffer und Salz, daher wie auch bei den Pilzen keine Überwürzung, nur das hervorragende Produkt stand im geschmacklichen Mittelpunkt in seiner Rolle als Beilage.
Das Gratin, für das ich mich als Beilage entschied, zeigte keine Überraschungen, aber auch keine Enttäuschungen: Pfeffer, Salz, Muskat, so wie man es selbst machen würde, ob der Garpunkt auch so gut gelingt wie Frau Wirsel ist natürlich die andere Frage.
Der Fisch des verwöhnten Feinkost-Dealers zu meiner Linken war auch nach Gusto, die Tomatenbutter fiel sehr positiv auf, nur etwas glasiger hätte es sein dürfen, Pech, meins war grandios! ¡Salud!
Herr Wirsel erfragte – wie nach jedem Gang – freundlich unsere Zufriedenheit und kam nach dem Abräumen mit der Dessertkarte wieder, die Wahl hatten wir auf nach dem Hauptgang verschoben.
| Dessert |
Rhabarbercrumble mit Créme frâiche
Mokkaparfait mit Cognac-Sahnekaramell
Da ich großer Freund warmer, kalorienreicher Desserts bin, kam für mich aus der Wahl zwischen den Parfaits und Sorbets in vielen Varianten eigentlich nur das Crumble in Frage.
Und ich sollte wieder nicht enttäuscht, der leicht herbe Rhabarber in perfektem Zusammenspiel mit der Süße des Teiges und des Puderzuckers, ein einfaches aber köstliches Dessert.
Die Creme fraiche eine schöne, erfrischende Komponente, Custard wäre natürlich noch etwas besser gewesen.
Da es mittlerweile draußen schwer gewitterte, passte dieser eher winterliche Nachtisch auch gut zur Witterung. Ohnehin ein schöner Moment, die Behaglichkeit, die der Gastraum mit der schummrigen, stimmungsvollen Beleuchtung dann ausstrahlte, kann man mit Worten nicht beschreiben, Bob Dylan sang vom rollenden Stein, danke Herr Wirsel für die handverlesene Musikauswahl, es war zauberhaft.
Das Mokkaparfait hat auch gemundet, ich probierte und erinnere vor allem den Karamell als ganz vorzüglich.
Ein solider Himbeergeist sollte für uns beide den Abschluss darstellen, mein Begleiter gönnte sich noch einen Espresso (2 €)und war recht angetan von Geschmack und Qualität, mir war es leider eindeutig zu spät für Koffein.
Das Taxi fuhr gegen zehn Uhr vor, es folgte eine herzliche Verabschiedung durch die sympathischen Betreiber, mit denen wir uns vorher noch sehr angenehm unterhalten konnten.
Fazit
Auf dieses Lokal muss man sich einlassen, man sollte wissen, was man dort erwarten kann, und was nicht. Wer hier sternenahen Service und entsprechendes Ambiente sucht, ist hier falsch.
Der „Foody“, der frankophile Genießer, der uneitle Gourmet mit Blick auf das Wesentliche, der Zeit und Empathie für die liebenswerten Betreiber und ihren Ansatz mitbringt, wird hier selig werden und das Restaurant mit dem Gefühl verlassen, bei guten Freunden hervorragend gegessen zu haben.
Ich gebe aus tiefster Überzeugung, angesichts des bescheidenen Auftritts des Restaurants und der günstigen Preise volle 5 Sterne für das Essen.
Das Ambiente, habe ich als für mich sehr gut empfunden, für mich subjektiv „herausragend“ in all seiner Einfachheit, das ist mir allemal lieber als der billige und beliebige Lounge-Murks den man überall findet. Über Geschmack lässt sich nun mal trefflich streiten…
Der Service heute durch Herrn Wirsel war gut zu nennen, sonst steht er nur hinter der Bar, heute aber war durch die geringe Auslastung keine Kellnerin im Einsatz.
Sauberkeit empfand ich auch als gut, habe nichts Anstößiges entdecken können, die Patina des Ortes verleitet oberflächlich dazu es anders zu sehen, dem war nicht so.
Das PLV möchte ich auch mit 5 Sternen bewerten, eine andere Möglichkeit gibt es angesichts des Gebotenen nicht.
Das einzige was mich maßlos ärgert: Warum bin ich hier nicht schon vor Jahren hin???
Danke für einen schönen Abend, an das Ehepaar Wirsel und meine nette Begleitung!